Kommunikation ganz natürlich und so falsch

Zurzeit macht wieder einmal ein Fall eines Politikers Schlagzeilen, der sich in den sozialen Medien ungeschickt geäussert hat. Der Fall von SVP-Politiker Andreas Glarner ist deshalb so interessant, weil er zu mehreren Aspekten der Kommunikation, wie wir sie schulen, Anschauungsmaterial bietet. Über die Ansichten und Meinungen von Herrn Glarner und anderen in den Fall involvierten Personen sowie die zugunde liegenden Werte müssen wir hier gar nicht eingehen. Ausgangslage ist, dass er im Abstimmungskampf eine Behauptung aufgestellt hat, die sich rasch als falsch herausgestellt hat. Dies wurde ihm in der Folge insbesondere auf Twitter vorgehalten.

Bemerkenswert ist, wie Glarner in schier kindlich naiver Weise zunächst den Kopf in den Sand steckt und auch auf direkte Ansprachen nicht reagiert. Damit hat sich der Politiker bereits ins kommunikative Abseits gestellt und einen grossen Teil seiner Handlungsfähigkeit verwirkt. Denn genauso wie sich keine Mutter mit einer Nicht-Reaktion zufrieden gibt, wenn sie ihren Sohn zum Aufräumen auffordert, wurden auch in unserem Fallbeispiel die Ansprachen und Aufforderungen eindringlicher. Dass hier bereits erste Drohungen («ich sollte dir den Hintern versohlen…») und Verurteilungen («du bist ein Taugenichts…») kommen können, ist in Erziehungssituationen ebenfalls zu beobachten.

Nachdem ihm auf Twitter ein immer heftigerer Wind entgegen bläst, wechselt Glarner seine Strategie: von der Ignoranz geht er über in die Abwehr. Sinnbildlich weil die Lega-Politikerin, die er als Quelle seiner Falschinformation angibt, ihr Zimmer auch nicht aufräumt, sei die Forderung der Mutter ebenso unbedeutend. Es muss Glarner selbst klar gewesen sein, dass diese Argumentation kaum auf fruchtbaren Boden fällt, denn er geht fliessend über in die Provokation. Mit Aussagen, die im gegebenen Kontext an vorgeblicher Zweideutigkeit kaum zu überbieten sind, stichelt der Bub gegen seine Mutter («du bist ja so eine trallali trallala…») – immer darauf bedacht, dass seine Aussagen unkonkret bleiben, um in der absehbaren Konfrontation die Provokation als falsche Interpretation abzutun. Glarner treibt das Spiel trotzig auf die Spitze und damit sich selber in die Enge: seine öffentlichen Anspielung auf das Äussere einer Twitter-Kommentatorin schreit förmlich nach Konsequenzen. Stellen Sie sich etwa die Mutter vor, die sich von unserem Jungen anhören muss: «Kein Wunder, hat dich der Papa sitzen gelassen…».

Und spätestens jetzt, nachdem ihn die Internet-Community mit Schimpf und Schande eindeckt – deren Inhalt und Stil fraglos oft genug die Grenze des guten Geschmacks deutlich überschreitet – und sein Facebook-Account für kurze Zeit deaktiviert wurde, flüchtet sich Glarner vollends in die Opferrolle. Wer je Diskussionen mit einem pubertierenden Teenager ausgefochten hat, der wird bei Glarners kommunikativem Kampf um seine (Rede-)Freiheit ein Déjà-vu haben. In völliger Ausklammerung seiner eigenen Rolle erkennt er eine Systematik (ja, Erziehung muss System haben, das verstärkt in der Regel den Lerneffekt!), bemüht Verschwörungstheorien der Onkel und Tanten von der Presse und tut sich damit eine weitere Front auf in einer Auseinandersetzung, die er schon längst nicht mehr gewinnen kann. Mittlerweile sollen sich bereits Anwälte mit dem Fall beschäftigen…

Nun geht es ja in diesem Artikel nicht darum, auch noch auf Herrn Glarner einzudreschen. Denn sein Kommunikationsverhalten war zwar in dieser Angelegenheit unter objektiven Gesichtspunkten völlig falsch, dafür ist es aber absolut natürlich. Dies verdeutlicht auch der Vergleich des Falls mit der Mutter-Sohn-Situation: gute Kommunikation ist uns nicht in die Wiege gelegt, sondern wir müssen sie lernen. Und wer wie Politiker ständig im Rampenlicht steht, der tut gut daran, sich gründlich darauf vorzubereiten und sich nicht nur von seinen Instikten leiten zu lassen. Denn diese sind darauf ausgelegt, das physische Überleben zu sichern, und obwohl der Mensch unterdessen ein soziales Wesen ist, das sich austauschen und Probleme gemeinsam lösen kann, regrediert das politische Klima immer mehr in dieses frühevolutionäre Stadium.

Mit Herrn Glarner würden wir von der Partei Academy für Kommunikation deshalb unter anderem verschiedene Kommunikations- und Eskalationsmodelle besprechen. Dann ist es Zeit für den Spiegel: Selbstkenntnis führt zu mehr sozialer Kompetenz, Empathiefähigkeit und Gelassenheit. Natürlich darf das Thema der sozialen Medien nicht fehlen, und besonders gerne möchten wir mit Andreas Glarner über Wege diskutieren, wie Inhalte sachlich und ohne persönliche Provokation vermarktet werden können. So bringen wir wieder mehr Kultur in die politische Diskussion.

 

Quellen (auszugsweise):

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